TEMPUS FUGIT – Die Zeit vergeht...
Das geflügelte Wort, das wir Vergil’s Gedichten über den Ackerbau entlehnt haben, scheint etwas wehmütig, die verrinnende Zeit zu betrauern – doch was, wenn ich ihnen versprechen kann, das es ein Gegenmittel gibt – das Michael Goller sie uns eingefangen hat, wie der umsichtige Landmann seine fliehenden Tiere. (…)
Michael Gollers Werk wird von einer zyklischen Struktur geprägt, von
Schichten subjektiven Erlebens, Erfahrung und vor allem von dem Feedback
den das Werk selbst, im Verlauf seines Entstehungsprozesses an den Maler
zurück sendet.
Goller, der meiner Einschätzung nach ein sehr ausgeprägtes Gespür für
„Metaphysisches“ hat, spricht in einem seiner früheren Texte – denn er
schreibt auch, Gedichte / Reflexionen – von einem „dumpfen Bewusstsein“
das dem Bild zukommt, das Schwingt und das am gelungenen Ende seine eigene
Identität gewinnt. Goller schreibt:
„Aus der Überlagerung aller dieser Prozesse schwingt es und erzeugt eine optische Resonanzfrequenz. In solch einer Resonanzfrequenz steigern sich die bis dahin als Einzelschwingungen erfahrenen Bildelemente zu einer neuen gemeinsamen Identität, die ich Malerei nenne und der sich anzunähern eine absolut würdige Lebensaufgabe sein kann. Und gleichzeitig eine Heimkehr.“ (aus: Zwei. Drei. Vier. Malerei und Welt: Kommentare, 1995-2017)
Lebensaufgabe – das Verweist auf die existenzielle Dimension des Künstler-Seins – so wie Michael Goller arbeitet, geht es nicht ums einfache Brötchen verdienen. Es ist eine Lebensform – in seiner künstlerischen Form der Praxis, ist ein Fertig-Sein und endgültiges Ankommen nicht vorgesehen – wie auf dem Feld der Erkenntnis – ist es ein stetiges Streben, und nur kurzes Verweilen bei Vorläufigem.
Der Zwischenraum zwischen Bild und Maler – Maler und Betrachter – Betrachter und Bild. Wir erkennen da eine dialektische Struktur – und wissen: an einem gewissen Punkt erfolgt ein Sprung, eine durch die gegenseitige Wechselbewegung gewordene Veränderung von der gereiften Form zu einem neuen offenen Zustand. Dieses Geschehen äußert sich als Krise, aber auch als Neuanfang. (…)
Was Goller auszeichnet ist, dass er seinem künstlerischen Tun über die Jahre eine so klare Struktur, einen Rhythmus und beständige geistige Nahrung gegeben hat, dass ihm noch jeder der schwierigen Transformationsprozesse von einer Werkphase zur nächsten, aus eigener Kraft gelungen ist.
Ein Schritt dabei ist, die bewusste Konfrontation mit dem Alten, bis dahin gewesenen. Die Notizbüchlein, hier hinter mir, veranschaulichen dieses produktive Prinzip auf wunderschöne Weise. Goller hätte die Bücher auch verbrennen können – Einfälle, Beobachtungen, die Basis für die Inspiration, der ganzen vergangenen Jahre – aber nein: Er setzt sich hin und übermalt monatelang, Tag für Tag, jede einzelne der Seiten dieser Bücher. Hier zeigt sich wie bedeutsam, die Technik der Überlagerung, für Michael Goller ist. Da wird nichts ausgelöscht – die Farbschichten bleiben transparent für das was zuvor war, ihre Geschichte, und machen etwas ganz Neues daraus. Auf der schwarzen Tusche erblühen die Farben mit denen Goller dann wieder zur Malerei findet. Und hier bei uns in der Galerie setzen sie sich nieder, wie ein Schwarm von Faltern. (…)
Und dann, in der Begegnung mit dem Alten kommt irgendwann auch die Offenbarung – eine Form, eine Prozedur, etwas, das so noch nicht gewesen ist. Und Lust darauf macht die in dieser Form enthaltenen Möglichkeiten auszuloten.
Die große Leinwand steht wie kein anderes Werk in der Ausstellung für das
Ende und den Anfang, den Goller mit seiner Malerei genommen hat: Vor zehn
Jahren hat er es begonnen. Doch es wurde nicht fertig. Stand selbst am
Ende einer Werkphase – es handelte von der „Offenbarung des Johannes“ und
zeugt von Gollers Affinität zur Schriftlichkeit, nicht nur in der
Zeichnung, sondern auch in der Malerei. Als Inspiration diente damals die
Lektüre der Bibel, dem Buch der Bücher.
Und jetzt nahm er sich das Bild wieder vor und es wurde fertig. Die
unzähligen kleinen Rauten sammeln sich im Zentrum der Malerei und fügen
ihm eine ganz neue Ebene hinzu. Wo im Hintergrund Dynamik und Variation
dominieren – herrscht nun im Vordergrund eine kristalline Ruhe und
Festigkeit.
Nehmen wir es mit Johannes: „Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!“
Oder, sagen wir einfach: als er soweit war machte sich der Bienenschwarm auf den Weg, schwärmte und setzte sich an einen Ort nieder, wo es ihm gefiel. Und Goller der Imker nimmt sich die Bienen und gibt ihnen nun einen neues Heim, wie es ihm entspricht. „Disziplin - Exploration – Reflexion“ - Mit diesen Stichwörten kann man sich Gollers Bildern nähern. Oder nehmen Sie andere: Vielleicht HERZ und VERSTAND? (…)
Das ist das Tolle an Gollers Bildern – sie verweisen auf einen Prozess, der radikal und geordnet ist. Man erahnt ihre unter vielen Schichten verborgene Geschichte. Und selbst wo Sie uns eindeutig und minimalistisch erscheinen – ist da noch mindestens eine Geschichte, die der Künstler selbst zu erzählen hat.
Aber sie „funktionieren“ auch so: Nur für sich. Nehmen Sie die drei großen Schwarzen Bilder. Sie inspirierten zum Titel der Ausstellung „FLOWERING BLACK“ – sie, und eine Zeile, wiederum aus einem Goller-Text:
„Die Blumen wachsen auf dem Schwarz.“ (aus: Flussumkehr: Entwurfsraster IV, 2012-2020)
Auf dieser schwarzen und zugleich nicht-schwarzen Fläche leuchten die Sterne so kraftvoll. Wie ein Feuerwerk. Ein Sternenhaufen. Pusteblumen im Wind ... Das trifft einen direkt – abseits von Ratio – auf einer Visuellen, emotionalen Ebene. (…)
Ich finde Michael Gollers fast schon asketische Lebensweise, seine Art zu Denken hat Vorbildcharakter. Es braucht solche Leute, die eine Sache ganz für sich, um ihrer selbst Willen betreiben. So kontinuierlich und abwechslungsreich. Um so mehr, wenn sie uns durch die Früchte ihrer Arbeit auch noch daran anteilhaben lassen.
Roman Pilz, Galeriemanager, 9/2020