und darüber hinaus
Einführung von Sybille Nütt
MICHAEL GOLLER ist Maler, Zeichner und Verfasser von Gedichten und
Texten, die mich an Kafka und Rilke gleichermaßen denken lassen und
doch ganz eindeutig beides nicht sind. Seine Werke haben eine große
erzählerische Komponente, jedoch nicht im klassischen Sinn. Von Anfang
an verwob er auf seinen bildnerischen Werken Farben, Grafik
und eine eigene Schreibart. Man sah Figürliches, Nichtfigürliches,
Gegenständliches, Nichtgegenständliches, Details und symbolhafte
Zeichen. Und nicht zu vergessen:
die Leere, das Offene – für Kommendes.
Ernst Bloch bezeichnet in seinem Hauptwerk “Das Prinzip Hoffnung” die
Gegenwart als “blinden Fleck” auf der Netzhaut, der dementsprechend
nicht “betrachtet” werden kann – im Gegensatz zur Vergangenheit, die
betrachtet und analysiert werden kann und die Zukunft, für die man
Wünsche und Träume formulieren kann.
In der Gegenwart kann man “nur handeln”.
Michael Goller versucht meiner Meinung nach nichts Geringeres, als
diesen “blinden Fleck” darzustellen und zwar, indem er Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft zu vereinen sucht.
Der blinde Fleck, der Moment, das Jetzt in jedem von uns ist gespeist
aus Gestern, Morgen und Heute, aus Erinnerungen, Erfahrungen, Träumen,
Wünschen, Dramen, Glück, dem sortierenden Denken daran und darüber und
dem gleichzeitigen selektiven Wahrnehmen und Handeln im Hier und Jetzt.
Alles ist immerzu und gleichzeitig – das ist geistig nicht fassbar und
doch real. Der Titel seines letzten Kataloges heißt bezeichnenderweise
“Nirgendwo wo ist Eines”. Diesem Umstand verdanken die Werke von
Michael Goller ihr Entstehen.
Wir befinden uns beim Betrachten in verschiedenen zeitlichen wie
räumlichen Dimensionen. Auf manches scheint ein Fokus gesetzt mittels
rundem oder viereckigem Ausschnitt – darin eine Geste, eine Szene, ein
Detail, etwas, was soeben erinnert oder erträumt wird und wohl
bedeutsam ist, weil es ja ins Bewußte kommt und gezeichnet oder gemalt
wird, aber warum es das tut und ob es tatsächlich bedeutsam ist... da
ist schon wieder eine neue Dimension, die Michael Goller dann eher
mittels des Wortes erkundet.
Die neuesten Werke, die sogenannten Schriftrollen, scheinen eine
Verbindung von Schrift - obwohl man kein geschriebenes Wort darin
findet - und Zeichnung. Die Werke entstanden im letzten Jahr über
Monate hinweg auf einem kleinen Tisch in großer Abgeschiedenheit, Ruhe
und Konzentration. Michael Goller beschrieb zeichnend die Rolle von
rechts, dabei rollte sich das Papier wieder mit ein, er hatte nie die
gesamte Schriftzeichnung vor Augen. An einem bestimmten Punkt zeichnete
er wieder von links nach rechts. Eine Form ergab die nächte, nicht das
gesamte letztendliche Werk war bedeutsam, sondern der Prozess, das
Handeln im Hier und Jetzt.