[aquarius]

Kunstverein burk-art e.V. / Galerie im Alten Rathaus 14.6. bis 28.8. 2013


Wasser war das alles beherrschende Thema der letzten Wochen. Als wäre es eine weise Vorahnung gewesen, so hat Michael Goller seiner Ausstellung hier den Titel „aquarius“ gegeben.
Wasser ist fließend. Es steht für Veränderung. Es kommt und geht, es ist die Grundlage allen Lebens, kann aber zugleich, zerstörerisch, ja lebensbedrohlich werden, wie es jüngst wieder auch hier in der „gemäßigten Klimazone“ Sachsens zu erleben war.
Wasser ist vorhanden, aber an sich nicht greifbar. Es zerrinnt zwischen den Fingern, man braucht etwas Festes, ein Gefäß, etwas, das es umschließt, um seiner habhaft zu werden.
Wasser kann uns als stiller See Ruhe und Entspannung vermitteln, es kann ebenso als schäumendes und tosendes Meer ohrenbetäubenden Lärm verbreiten. Wasser kann verschiedene Farben annehmen, in verschiedenen Zuständen uns begegnen.
Wieso erzähle ich Ihnen das hier zur Ausstellungseröffnung? Hier geht es doch um Bilder, um Malerei, um Ölgemälde, Zeichnungen, Assemblagen - nicht mal um Aquarelle, wo das Wasser ja eine wichtige Rolle hat.
Nun, es gibt eine Reihe von Beziehungspunkten zwischen den Eigenschaften des Wassers als eines der Elemente und der Malerei von Michael Goller, wohl nicht in materieller aber in spiritueller oder metaphorischer Hinsicht.
Gollers Malerei ist nicht statisch. Sie ist in Bewegung, in Veränderung, er ist immer wieder zu neuen Ufern unterwegs. Einzelne Werkgruppen kann er im Nachhinein als abgeschlossen betrachten. Er sagt dann: „Diese Phase ist für mich beendet.“ Nachdem er das sich selbst gestellte Thema malerisch umkreist und bis in alle Winkel ausgelotet hat, kann er es auch irgendwann abschließen. Es reizt ihn dann nicht mehr, er beginnt mit etwas anderem. So sehen sie hier in dieser Ausstellung auch keine atelierfrischen Werke, sondern Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Zunächst die großformatigen Gemälde aus der Serie „Figurenbilder“ von 2010/11. Mit figurativer Malerei im klassischen Sinne hat Gollers impulsive, meist aus farbigen Streifen und Flecken zusammen gesetzte Malerei nur wenig zu tun. Eine gewisse Nähe zum Informell tut sich auf, aber auch zum Expressionismus sächsischer Herkunft. Charakteristisch für Gollers Arbeit sind aber die verschiedenen Ebenen, die er durch unterschiedliche malerische Mittel im Bild einsetzt. Zumeist haben wir es mit einer rhythmisch durchgemalten, fleckenartigen Farbfläche zu tun, die in ihrer Intensität zurücktritt und so etwas wie die Hintergrundebene bildet. Darauf setzt er mit breitem Pinselstrich, fast zeichnerisch,  in der Art einer Skizze eine weitere Ebene, welche die Figur umreißt, eben nur andeutet. Durch die Offenheit der Lineatur geraten auch diese Figurenzeichnungen in Bewegung, sind nicht ohne weiteres greifbar. Eine weitere Ebene entsteht durch die sogenannten Maskierungen. Eine Gollersche Eigenart, bei der er während des Malprozesses kleine Partien, mitunter nur in der Größe einer Scheckkarte, abklebt und darüber weitermalt. Später nimmt er die Maskierung wieder ab und legt damit ein Fragment eines frühen Stadiums wieder frei.
Die Spannung der Malerei von Michael Goller erwächst aus dieser Polarität zwischen klaren, eindeutig fassbaren Elementen und weniger deutlichen, verschwommenen, unscharfen, irrationalen, in denen sich eher das Unfassbare artikuliert. Die Themen und Protagonisten seiner Bilder können uns auf diese Weise in verschiedenen Stadien, Zuständen, Konstellationen begegnen – und das simultan in ein und demselben Werk.
Das Unbeständige, Wandelbare des Wassers ist ein Charakterzug, der sich auch in der Werkgruppe der Assemblagen wiederfindet, die hier zum ersten Mal ausgestellt wird. Diese Arbeiten entstanden zwischen 1997 und 2003 und wurden im Nachhinein vom Künstler als „zu viel“ eingeschätzt. So hat er sie im Jahr 2012 – das aufgrund großer privater Veränderungen – für ihn zu einer „Phase der Stille“ wurde, weiß gemalt. Nun können sich die Formen freier artikulieren ohne von ihrer Materialität und Farbigkeit übermannt zu werden. An dieser Stelle offenbart sich auch ein typischer Charakterzug von Goller, dass er sehr viel Selbstreflexion betreibt, mit seinen geschaffenen Werken lebt, sie immer wieder hervorholt, sie betrachtet und kritisch prüft, ob sie noch seinem künstlerischen Auge stand halten.
Die dritte Werkgruppe in dieser Ausstellung ist das sogenannte „Schriftliche Experiment“ - eine Reihe von Arbeiten auf Papier mit Tuschen, Farbstiften oder Bleistift. Entstanden von 2008 bis 2011 zeigen sie die Auseinandersetzung mit dem antiken Roman „Satyricon“ von Petronius (erschienen zur Zeit Kaiser Neros), der als böse Satire auf den Hedonismus dieser Zeit interpretiert wird und nur fragmentarisch überliefert ist.
Tag für Tag hat er sich dieser Thematik zugewandt und dabei immer wieder nach einem neuen Ansatz gesucht, „systemlos“ sagt der Künstler selbst. Die Blätter zeigen, dass das Schriftliche Experiment geglückt ist, wenn man das behaupten darf. Es sind äußerst dichte Blätter, in denen sich die zeichnerischen Qualitäten von Goller bestens entfalten können. Jedes Blatt steht für sich, überrascht mit neuen Bildelementen, Formen, Materialien, ohne dass der Charakter eines Zyklus verloren ginge.
Die Tusche lässt hierbei aus der Feder seltsame Formen herausfließen (Wasser!). Unbekannte, ungesehene Figuren und Strukturen breiten sich dann über den Blättern aus. Eine fast märchenhafte Faszination geht aus diesen Zeichnungen hervor. Auch die Schrift spielt eine dem Thema angemessene, bildtragende Rolle. Ob in Bleistift oder Tusche, immer breiten sich Textpassagen, Fragmente oder einzelne Sätze in feinster akribischer Handschrift oder in impulsiv hingesetzten Gesten aus.
Zum Abschluss noch einmal zurück zum Wasser: Aquarius steht im eigentlichen Sinne für den Wassermann, welcher in der europäischen Mythologie, in Sagen und Märchen die Menschen oftmals ins Wasser lockt und ihre Seelen gefangen hält. Lassen Sie sich nun gefangen nehmen von der Kunst Michael Gollers, zumindest am heutigen Abend.
Alexander Stoll, 14.6.2013