Wasser war das alles beherrschende Thema der letzten Wochen. Als wäre
es eine weise Vorahnung gewesen, so hat Michael Goller seiner
Ausstellung hier den Titel „aquarius“ gegeben.
Wasser ist fließend. Es steht für Veränderung. Es kommt und geht, es
ist die Grundlage allen Lebens, kann aber zugleich, zerstörerisch, ja
lebensbedrohlich werden, wie es jüngst wieder auch hier in der
„gemäßigten Klimazone“ Sachsens zu erleben war.
Wasser ist vorhanden, aber an sich nicht greifbar. Es zerrinnt zwischen
den Fingern, man braucht etwas Festes, ein Gefäß, etwas, das es
umschließt, um seiner habhaft zu werden.
Wasser kann uns als stiller See Ruhe und Entspannung vermitteln, es
kann ebenso als schäumendes und tosendes Meer ohrenbetäubenden Lärm
verbreiten. Wasser kann verschiedene Farben annehmen, in verschiedenen
Zuständen uns begegnen.
Wieso erzähle ich Ihnen das hier zur Ausstellungseröffnung? Hier geht
es doch um Bilder, um Malerei, um Ölgemälde, Zeichnungen, Assemblagen -
nicht mal um Aquarelle, wo das Wasser ja eine wichtige Rolle hat.
Nun, es gibt eine Reihe von Beziehungspunkten zwischen den
Eigenschaften des Wassers als eines der Elemente und der Malerei von
Michael Goller, wohl nicht in materieller aber in spiritueller oder
metaphorischer Hinsicht.
Gollers Malerei ist nicht statisch. Sie ist in Bewegung, in
Veränderung, er ist immer wieder zu neuen Ufern unterwegs. Einzelne
Werkgruppen kann er im Nachhinein als abgeschlossen betrachten. Er sagt
dann: „Diese Phase ist für mich beendet.“ Nachdem er das sich selbst
gestellte Thema malerisch umkreist und bis in alle Winkel ausgelotet
hat, kann er es auch irgendwann abschließen. Es reizt ihn dann nicht
mehr, er beginnt mit etwas anderem. So sehen sie hier in dieser
Ausstellung auch keine atelierfrischen Werke, sondern Arbeiten, die in
den letzten Jahren entstanden sind.
Zunächst die großformatigen Gemälde aus der Serie „Figurenbilder“
von
2010/11. Mit figurativer Malerei im klassischen Sinne hat Gollers
impulsive, meist aus farbigen Streifen und Flecken zusammen gesetzte
Malerei nur wenig zu tun. Eine gewisse Nähe zum Informell tut sich auf,
aber auch zum Expressionismus sächsischer Herkunft. Charakteristisch
für Gollers Arbeit sind aber die verschiedenen Ebenen, die er durch
unterschiedliche malerische Mittel im Bild einsetzt. Zumeist haben wir
es mit einer rhythmisch durchgemalten, fleckenartigen Farbfläche zu
tun, die in ihrer Intensität zurücktritt und so etwas wie die
Hintergrundebene bildet. Darauf setzt er mit breitem Pinselstrich, fast
zeichnerisch, in der Art einer Skizze eine weitere Ebene, welche
die Figur umreißt, eben nur andeutet. Durch die Offenheit der Lineatur
geraten auch diese Figurenzeichnungen in Bewegung, sind nicht ohne
weiteres greifbar. Eine weitere Ebene entsteht durch die sogenannten
Maskierungen. Eine Gollersche Eigenart, bei der er während des
Malprozesses kleine Partien, mitunter nur in der Größe einer
Scheckkarte, abklebt und darüber weitermalt. Später nimmt er die
Maskierung wieder ab und legt damit ein Fragment eines frühen Stadiums
wieder frei.
Die Spannung der Malerei von Michael Goller erwächst aus dieser
Polarität zwischen klaren, eindeutig fassbaren Elementen und weniger
deutlichen, verschwommenen, unscharfen, irrationalen, in denen sich
eher das Unfassbare artikuliert. Die Themen und Protagonisten seiner
Bilder können uns auf diese Weise in verschiedenen Stadien, Zuständen,
Konstellationen begegnen – und das simultan in ein und demselben Werk.
Das Unbeständige, Wandelbare des Wassers ist ein Charakterzug, der sich
auch in der Werkgruppe der Assemblagen
wiederfindet, die hier zum
ersten Mal ausgestellt wird. Diese Arbeiten entstanden zwischen 1997
und 2003 und wurden im Nachhinein vom Künstler als „zu viel“
eingeschätzt. So hat er sie im Jahr 2012 – das aufgrund großer privater
Veränderungen – für ihn zu einer „Phase der Stille“ wurde, weiß gemalt.
Nun können sich die Formen freier artikulieren ohne von ihrer
Materialität und Farbigkeit übermannt zu werden. An dieser Stelle
offenbart sich auch ein typischer Charakterzug von Goller, dass er sehr
viel Selbstreflexion betreibt, mit seinen geschaffenen Werken lebt, sie
immer wieder hervorholt, sie betrachtet und kritisch prüft, ob sie noch
seinem künstlerischen Auge stand halten.
Die dritte Werkgruppe in dieser Ausstellung ist das sogenannte
„Schriftliche Experiment“ - eine Reihe von Arbeiten auf Papier mit
Tuschen, Farbstiften oder Bleistift. Entstanden von 2008 bis 2011
zeigen sie die Auseinandersetzung mit dem antiken Roman „Satyricon“ von
Petronius (erschienen zur Zeit Kaiser Neros), der als böse Satire auf
den Hedonismus dieser Zeit interpretiert wird und nur fragmentarisch
überliefert ist.
Tag für Tag hat er sich dieser Thematik zugewandt und dabei immer
wieder nach einem neuen Ansatz gesucht, „systemlos“ sagt der Künstler
selbst. Die Blätter zeigen, dass das Schriftliche Experiment geglückt
ist, wenn man das behaupten darf. Es sind äußerst dichte Blätter, in
denen sich die zeichnerischen Qualitäten von Goller bestens entfalten
können. Jedes Blatt steht für sich, überrascht mit neuen Bildelementen,
Formen, Materialien, ohne dass der Charakter eines Zyklus verloren
ginge.
Die Tusche lässt hierbei aus der Feder seltsame Formen herausfließen
(Wasser!). Unbekannte, ungesehene Figuren und Strukturen breiten sich
dann über den Blättern aus. Eine fast märchenhafte Faszination geht aus
diesen Zeichnungen hervor. Auch die Schrift spielt eine dem Thema
angemessene, bildtragende Rolle. Ob in Bleistift oder Tusche, immer
breiten sich Textpassagen, Fragmente oder einzelne Sätze in feinster
akribischer Handschrift oder in impulsiv hingesetzten Gesten aus.
Zum Abschluss noch einmal zurück zum Wasser: Aquarius steht im
eigentlichen Sinne für den Wassermann, welcher in der europäischen
Mythologie, in Sagen und Märchen die Menschen oftmals ins Wasser lockt
und ihre Seelen gefangen hält. Lassen Sie sich nun gefangen nehmen von
der Kunst Michael Gollers, zumindest am heutigen Abend.
Alexander Stoll, 14.6.2013