Michael Goller ist ein sehr guter Freund. Es tut mir leid, dass ich
persönlich werde, aber ich habe das Gefühl, dass es anders nicht geht.
Das ich anders nicht glaubhaft vermitteln kann, was hier ausgestellt
ist. Und dass ich anders nicht glaubhaft vermitteln kann, was für ein
Maler Michael Goller ist.
Michael Goller ist Maler. Das mag vielleicht banal klingen. Das ist es
nicht. Ich kenne eine Menge sogenannter Künstler, sogenannter Maler,
Studenten, ehemalige Kommilitonen an der Kunsthochschule. Aber ich
kenne niemanden, der auch nur ansatzweise so viel für die Malerei
geopfert hat, wie Michael Goller. Der sein ganzes Wesen in diese
Seinsform Malerei hineinschmeißt. Der sich in Malerei hineinwirft als
wäre es alles oder nichts. Als gäbe es keine andere Hoffnung. Michael
Goller gibt sein Leben hin für die Malerei. Dadurch macht er Malerei zu
Allem. Für Michael Goller ist Malerei Verheißung. Vision einer
Seinsform. Eine nicht durch Sinne erfahrbare Sinnlichkeit. Malerei ist
Dialog. Ist die reinste Form der Liebe zum Lebendigen. Ist das
vollkommene Wesen.
Das Alles sieht man in seinen Bildern. Das ist seine Leistung. Und für
diese wird er hier zurecht mit einer Ausstellung gewürdigt. In diesem
Zusammenhang möchte ich mich deshalb bei der Domgalerie bedanken. Danke,
das Sie Michael Goller ausstellen. Das ist wichtig. Und danke, das Sie,
liebe Gäste, heute hier sind. Das ist genauso wichtig.
Michael Goller malt, um zu leben. Und die Malerei schenkt ihm Visionen.
Die Vision versteht er als Auftrag, die Schranken des Verstehens
zu überwinden. In eine neue Welt vorzustoßen. Neue Ideen zu entwickeln.
Alles ist dabei möglich. Alles fließt dabei mit ein. Sein Studium der
Philosophen, der Geschichte, der Kunstgeschichte, sein Studium
verschiedener Sprachen, der japanischen Schriftzeichen. Alles
kulminiert in seiner Malerei.
Gerade in letzter Zeit ging der Maler durch schwere, die ganze
Lebenssituation umwälzende Phasen. Er kennt die dunklen Seiten des
Lebens. Und doch - das einzige, was er mir immer wieder erzählte: Wie
sehr er sich wünscht, sich wieder voll auf die Malerei konzentrieren zu
können. Wie sehr er sich wünscht, dass er sich endlich der Malerei
zuliebe neu sortieren, und wieder ganz im Atelier sein kann.
Das erste Mal, das ich mit Michael Gollers Malerei in Berührung kam,
war im Jahre 2001. Auf einer seiner ersten Ausstellungen in einer
Dachgeschossgalerie in Klaffenbach bei Chemnitz. Schon damals waren die
Bilder von einer außerordentlichen malerischen Qualität und auch
Eigenheit. Zweifelsohne in einer expressionistischen, man könnte fast
sagen Chemnitzer Malereitradition stehend (auch Karl-Schmidt-Rottluff
und Ernst Ludwig Kirchner besitzen ja Chemnitzer Wurzeln), zweifelsohne
aber auch damals schon höchst eigen und darüber hinausgehend.
In Michael Gollers Malerei finden sich alle wesentlichen
Malereiströmungen seit der Moderne. Die abstrakte, die gegenstandslose,
informelle Malerei, die konkrete Malerei in den Ausschnitten, ganz
besonders - wie sie sehen - natürlich der Neoexpressionismus à la
Baselitz und Penck. Figurative Malerei eines Francis Bacon, Die
rhythmisch abstrakte Malerei eines Ernst Wilhelm Nay.
Anklänge des Neuen Symbolismus eines Anselm Kiefer finden sich. In
dieser Ausstellung sieht man, besonders in der Bildserie "Schriftliches
Experiment", die geistige Nähe zu Carlfriedrich Claus, dem Annaberger
Künstler, der sehr reich und nachhaltig aus der Schrift für die Malerei
schöpfte. Tatsächlich findet man auch Anklänge zum Pop von Rauschenberg
und Warhol. Und man möge es kaum glauben, man findet sogar Anklänge zum
Neorealismus. Das finde ich selbst auch überraschend. Michael Goller
bildet aus all diesen Stilrichtungen, aus 30.000 Jahren
Malereigeschichte, eine neue, eigene, bisher nie dagewesene malerische
Handschrift.
Wesentliche Stilmerkmale dieser Malerei sind die strukturelle
Verschachtelung in Ebenen, wozu die konkreten Ausschnitte gehören, und
die sensible Farbigkeit.
Die hier ausgestellten Bilder werden zum ersten Mal in einer Ausstellung
gezeigt.
Elementare Werkgruppen der Ausstellung sind die Figurenbilder und die
Bilder des Zyklus Schriftliches Experiment. Beide Serien entstanden in
den Jahren 2008 bis 2011. Teil der Reihe Figurenbilder ist das auch die
den Ausstellungstitel gebende Bildgruppe "Zyklopisches Gastmahl".
Die Reihe Schriftliches Experiment besteht aus Arbeiten auf Papier.
Inhaltliche Grundlage bildet die fragmentarische Geschichte Satyricon
von Petronius.
Das Schreiben wird dabei zum Malen. Ein Verweben der Sinne mit den
Zeichen der Sprache. Der Text wird verschlüsselt und legt damit seinen
Inhalt teilweise ab. Wird zum Bild. Lässt das Bild zu. Bleibt dennoch
Verbindung und verbindet über den Text die ganze Serie, die zwischen
gestischer und figurativer Malerei hin und her pendelt.
Sie alle kennen den Ausdruck: Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Das
trifft sicher fast überall zu. Schauen Sie. Überall Schatten. Nicht
aber bei einem Bild. Das Bild kann Licht ohne Schatten ausdrücken. Die
Idee des Vollkommenen ist damit möglich. Das Bild als Gottesbeweis.
Malerei ist Wirklichkeit meine Damen und Herren. Das Ganze wird im
Fragment erfahrbar.
Das Bild entsteht im Dialog mit dem Maler. So lange, bis beide
sprachlos sind. Dann ist das Bild fertig. Natürlich können diese
Gedanken, die sie hier sehen, erst wirken, wenn sie wiederum geschaut
werden. Deswegen freuen wir uns alle über so viel Besucher. Auch Sie
werden von den Bildern gesehen.
Der Weg ist begonnen. Das umfangreiche Werk des Künstlers ist ein sehr
beachtliches Frühwerk. Hunderte Arbeiten auf Leinwand, tausende
Papierarbeiten. Etliche Texte und sogar Erzählungen. Der Dialog mit der
Malerei ist etabliert und gefestigt. Michael Goller mit seinen 37
Jahren noch ein junger Künstler. Es bleibt spannend, wo ihn die im
Dialog mit der Malerei entstandenen Visionen noch hinführen mögen.
Reden wir kurz über das Abbild. Eine Verbindung aus reiner Farbe mit
der Sehgewohnheit des Menschen. Man erkennt Arme, Köpfe, Augen und
Beine. Das, wenn sie wollen, kann Ihr Tor zum Bild sein. Ihr Eingang in
eine Bildwelt, die sich womöglich nicht so leicht und so schnell
erfassen lässt. Lassen Sie sich ein. Halten Sie sich fest an was immer
ihnen ins Auge fällt. Lassen sie es ein Haken sein, an dem Sie fest
machen können. Ziehen Sie von da aus weiter ins Bild und vielleicht
können auch Sie eine Reise beginnen. Vielleicht die schon durchgeführte
Reise beim Malprozess nachvollziehen oder eine völlig eigene Reise ins
Bildinnere beginnen. Vielleicht können Sie Brücken bauen. Gräben
überwinden. Dinge neu mit frischen Augen sehen. Vielleicht docken Sie
an die inhaltliche Ebene an. Vielleicht denken Sie nach über die
Bedeutung des Händewaschens. Oder über die Traurigkeit des Zyklopen der
nun mal mit einem Auge geboren worden ist. Legen sie an, wo es nur
geht. Lassen Sie sich hineinziehen in ein Meer voller Farben. Wenn Sie
es für möglich halten könnten, Sie so als Betrachter sogar selbst zum
Maler werden. Das heißt, in einen Dialog mit einem Bild eintreten.
Lassen sie Fragen des Bildes zu. Lassen sie auch eigene Fragen zu. Egal
welcher Art diese Fragen auch immer sein sollten. Egal wie banal. Denn
das Bild ist nicht elitär. Es ist intelligent. Das gewiss. Aber nicht
elitär. Nutzen Sie die Gelegenheit, mit dem hier anwesenden Michael
Goller persönlich ins Gespräch zu kommen. Vielen Dank für Ihr
Interesse.
Peter Piek, Merseburg 7.2.2012
"(...) Und wer da kommt und schaut muss viel Zeit, Muße und zugleich den
Willen mitbringen, sich auf die originellen Experimente und versteckten
philosophischen Gedankengänge des Künstlers einlassen zu wollen. Dann
wird er mit zahlreichen Anregungen belohnt, die lange nachwirken und
Raum für eigene Überlegungen und Gedankengänge bieten, die weit über das
jeweilige Kunstwerk hinausreichen.
Goller spielt im Ausstellungsmotto zum einen auf den sagenhaften
Zyklopen der Antike an, der zwar nur ein Auge hat ("ein Gestalt
gewordenes psychologisches Moment"), aber damit nicht etwa schlechter
sondern nur anders sieht. Und er verweist auf das antike "Satyricon"
des Petronius. Der Text, mittlerweile 2 000 Jahre alt, gilt als eine
Art Sittenbild der römischen Gesellschaft mit zahlreichen
Anspielungen, die auch Goller zuhauf in die Collagen einbringt, mit
meist ruhelosen Strichfiguren, einzelnen Gesichtern und Textpassagen
querbeet, die in monatelanger Kleinarbeit entstanden.
Petronius' Werk ist nur in wenigen Teilen überliefert, was für Goller
allerdings kein Problem darstellt. Er sieht dieses Fragmentarische wie
Novalis als eine ästhetische Komponente. "Wenn es ganz wäre, hätte es
mich wahrscheinlich nicht wirklich interessiert." Und er fasst das
Fragment als ein "Modell der Wirklichkeit, die wir ja auch nur
fragmentarisch zu erfassen vermögen." Und dem Betrachter zugewandt
sagt er: "Ich verlange ihm nicht viel ab, ich biete ihm etwas an."
Dabei setzt er im Schaffensprozess auch auf einen "offenen Ausgang",
den er selbst nicht vorhersehen könne. Es gebe ja immer wieder
unterschiedliche Arten des Zugangs, so Goller.
Dafür hat er auch das Schriftbild auf den Zeichnungen und Collagen (alles
Petronius-Texte) verändert. Die Buchstaben der eingestreuten
Textpassagen sind wie archaische Zeichen quasi in die Höhe verlängert
gezogen, lassen sich mal von links nach rechts und umgekehrt lesen.
Doch dazu ist einige Übung notwendig. Goller: "Das ist wie Japanisch
lernen. Am Anfang sieht man nur Zeichen. Dann lässt sich langsam eine
Strukturierung erkennen und schließlich begreift man den Text. Es ist
durchaus ein Wagnis, das ich faszinierend finde." Eine Anspielung auf
eine immer komplizierter und undurchschaubarer werdende Welt?
Möglicherweise.
Ähnliches kann man bei den Ölbildern erkennen. Hier erlaubt er sich
auch eine Art "Sichtfenster", die er anfangs übermalt oder überklebt,
um sie dann teilweise wieder zu entfernen. Es entstehen dadurch mehrere
Ebenen sowohl im Wort- wie auch im Bedeutungssinn, so etwa in dem Werk
"Kopfträger (Im Wald)".
Und er weist auf einen möglichen Wechsel der
Befindlichkeiten.
(...) Ein Wagnis? Vielleicht, aber für ihn ein konsequenter Weg
auf der Suche nach der eigenen künstlerischen Wahrheit."
Hans-Erdmann Gringer, Merseburg 8.2.2012
Von der Malerei her begegnet uns ein bewegtes Bild. Ob es uns auch
inhaltlich zu bewegen vermag, muss sich erst zeigen. Denn zunächst
geben die expressiven Pinselstriche und andeutenden Formen Rätsel auf.
Sie laden unverkennbar zur Spurensuche ein.
Recht deutlich ist eine menschliche Gestalt zu erkennen: Kopf,
Oberkörper, Arme, Hände. Sie ist halb dem Betrachter zugewendet und hat
die Arme so angewinkelt, dass ein intensiver Blickkontakt mit den
Händen entsteht. Doch Kopf wie Hände geben Fragen auf. Was hat das
hinter dem mit weißen Pinselstrichen umrissenen Kopf liegende lindgrüne
Gesicht zu bedeuten? Es zeigt ein sehendes Auge, während beim
angedeuteten Kopf die Augen verbunden erscheinen. Und sind die Hände
wirklich Hände? Zeigen sie nicht auch einen Kopf mit verbundenen Augen?
Zwischen den beiden ist ein intensiver Dialog mit alles durchdringenden
Blicken zu spüren. Dabei wird der eine wie der andere „Kopf“ von einem
roten Farbfeld hinterfangen, das an flammende Flügel denken lässt, an
eine treibende und gleichzeitig haltgebende Kraft, die von außen
ermutigt, weiter zu machen. Ist hier letztlich nicht eine Person
dargestellt, sondern gar zwei? Ganz dunkel ist der Raum zwischen ihnen
dargestellt. Es ist, als würde sie etwas Schweres und Unbegreifliches
verbinden. Das Zentrum bildet ein schwarzes Quadrat, das mit drei
satellitenähnlichen rechteckigen Applikationen mit abstrakten
Strichzeichnungen korrespondiert. Ob bewusst ein Bezug zum „Schwarzen
Quadrat“ von Malewitsch hergestellt wurde, der mit ihm damals die
Empfindung der Gegenstandslosigkeit beim Betrachter hervorrufen wollte
und gleichzeitig einen Bezug zu Gott und dem unfassbaren Nichts, aus
dem Gott die Welt erschaffen hat, schuf?
Dieser schwarze Mittelpunkt der Arbeit ist vom weißen Arm teilweise
umfangen. Durch parallele Strichstrukturen rechts oben im Bild wird der
Eindruck geweckt, als wolle die „herzförmige“ Bewegung des Armes über
sich hinauswachsen, hin zu dem blauen Bereich oben links, der als
einziger im Bild mit der schwarzen Mitte in direkter Verbindung steht.
So wird auch suggeriert, dass das, was in der absoluten Verborgenheit
zwischen den beiden geschieht, etwas mit dem Himmel zu tun hat, einer
Kraft, die über ihnen steht.
Betender nennt der Künstler seine Arbeit. Damit legt er eine Spur, doch
die Unsicherheit bleibt. Ist eine allein betende Person dargestellt
oder sind es nicht vielmehr zwei Personen, bei denen die Obere für die
untere, eher liegende Person betet? Möglich ist auch die Hinwendung des
Betrachters zu dem Unbekannten, ganz Anderen, der seine Identität
hinter der Maske – Gott – verbirgt? Jedes ist ein schlüssiger
Gedankengang. Michael Gollerts Arbeit belehrt nicht im Sinne von „so
ist es“ und verkündet keine unumstößliche Wahrheit. Vielmehr zeigt er
Spuren und Wege, das Gewohnte als einzige Denk- und Lebensmöglichkeit
zu verlassen und sich dem ganz Anderen und Unbekannten zu öffnen und zu
nähern … als Betender.
Aus der Darstellung geht hervor, dass Beten nicht nur das Reden wie mit
dem guten Bekannten von nebenan über unsere augenblickliche
Befindlichkeit ist, über das, was man gerne hätte oder anders möchte.
Beten ist hier ein Aufbrechen des menschlich Alltäglichen und das
Einlassen auf den unbeschreiblich Anderen. Aus der Bewegtheit der
Pinselstriche zu schließen, ist es mit Ringen und Kämpfen verbunden. Es
ist eine Auseinandersetzung mit einem Du, das für den Glaubenden im
Bitten und Danken, sich Verschließen und Öffnen, Abwehren und Empfangen
geschieht, mit einem Du, das doch immer geheimnisvoll nah gegenwärtig
ist. Verbundenheit (religio) und Zuwendung sind aus diesem Dialog
herauszuspüren. Und doch deuten die dunklen Stellen an, dass Beten auch
immer wieder tastender Dialog und suchendes Gespräch ist. Bewegung, die
in der Zuwendung zum unbeschreiblich Anderen über sich hinausgeht.
Patrik Scherrer 25.09.2010
Ob wir ohne Hinweise das Bildthema finden würden? In unterschiedlich
beige-braunen Farbtönen, mehrheitlich mit waagrechten Pinselstrichen
auf die Leinwand gebracht, breitet sich das Bildmotiv vor unseren Augen
aus. Hier und dort sieht es aus, als würden diese manchmal auch orangen
und blauen Farbspuren etwas im Hintergrund verdecken, dann wieder
werden sie selbst von rechteckigen Collagen mit Strichmotiven, kleinen
Figuren und Schriftzeichen überlagert. Ein wahrhaft
mehrschichtiges Bild.
Am klarsten lässt sich in der rechten Bildhälfte „Steh auf und ess!“
entziffern. Dies ist eine Aufforderung an jemanden, der sitzt oder
liegt und wieder zu Kräften kommen soll. Im Bild selbst ist keine
Person zu entdecken, auf die diese Worte zutreffen könnten. Doch die
ziemlich zentral platzierten Buchstaben „FLŊΛ“ könnten trotz aller
Rätselhaftigkeit ein Schlüssel zum etwa gleich langen Wort Elija sein,
dem Propheten, der nach der Todesdrohung durch die israelische Königin
Isebel Angst und Depressionen bekam und in die Wüste floh. „Dort setzte
er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte:
Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als
meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief
ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Als er
um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche
gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich
wieder hin. Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an
und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. Da
stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt,
vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.“ (1. Könige
19,4-8)
Über die beiden Schrifthinweise und im Zusammenhang mit der biblischen
Erzählung können nun die beige-braunen, tendenziell waagrechten
Pinselstriche als Wüstenlandschaft interpretiert werden. Auf der linken
Bildhälfte – quasi als Gegenstück zum „Steh auf und iss!“ – findet sich
eine Konzentration von anderen Farb-, Form- und Bildfragmenten. Das
Auge sucht nach Verbindungen, versucht die einzelnen Elemente zu einem
Ganzen zusammen zu fügen … und muss mangels Beweisen aufgeben. Was oder
wer hier auch ist, hat sich so in Einzelteile aufgelöst, dass es für
den Betreffenden selbst wie für den Betrachter sehr schwer ist, seine
Einheit zu finden.
Ein bisschen erinnert das Bild an Situationen der Verwüstung, wie sie
sich uns nach Erdbeben oder Überschwemmungen zeigen. Das Bild
kann auch für Menschen wie Elija stehen. Menschen, die sich in
verschiedenen Aktivitäten verausgabt und deren Kräfte sich in alle
Richtungen verstreut haben. Nun sind sie wortwörtlich niedergeschlagen,
befinden sich vielleicht in einer Depression und leiden unter einer
lähmungsähnlichen Antriebslosigkeit. So verfügen sie nicht mehr über
genügend geistige und körperliche Kräfte, um sich wieder zu sammeln.
„Steh auf und iss!“ ist deshalb eine Aufforderung und Ermutigung, sich
von der lebensbehindernden Starre zu erheben, mit dem Essen neue Kraft
zu sich zu nehmen, um dann mit gesammelten Kräften und als erneuerter
Mensch seinen Weg zu gehen. Aus der Wüste heraus ins blühende Land.
Patrik Scherrer, 9.4.2011