Mit „verkehrte Welt“ könnte man unser aktuelles
Ausstellungsprogramm
betiteln, denn die realistische Bilderwelt Volker Blumkowski wäre
durchaus in Ostdeutschland, etwa in der Leipziger Schule, zu vermuten,
während die Arbeiten von Michael Goller durchaus ins Konzept einer
westdeutschen Gruppierung passen würde. Schon dieser spannende Topos
war ein entscheidender Ausstellungsbeschuss. Uns interessiert die
derzeitige Bandbreite der malerischen Ausdrucksformen, ihre Vorzüge und
Nachteile, ihre Stärken und Schwächen. Unsere Ambitionen zielen auf
eine lebendige Auseinandersetzung mit der aktuellen Kunstszene –
schließlich sind wir ein Kunstverein und kein erhabener Musentempel,
der sich den schon den gesicherten Werken der Epoche verpflichtet fühlt.
Nach diesem verspäteten Wort zum Jahresanfang, möchte ich Ihnen den
Chemnitzer Künstler Michael Goller vorstellen. Einige von Ihnen haben
Ihn sicher schon persönlich kennen gelernt. Da er erst 1974 geboren
wurde, ist seine Biographie naturgemäß schnell abgehandelt. Im
damaligen Karl-Marx-Stadt – heute wieder das schöne sächsische Chemnitz
– wuchs er auf. Schon mit zwölf Jahren machte er seine ersten
Federzeichnungen, kritzelte Landkarten, Menschen und Schriften. Neben
der üblichen Schulausbildung galt schon des Vierzehnjährigen Interesse
der Malerei und speziellen Experimenten zu Farbtheorien. Er formuliert
schon einen eigenen Farbraum. – Leider ist uns dieses Material nicht
zugänglich. – 1992 entstehen seine ersten Ölbilder und der Erstentwurf
einer eigenen Schrift, ein erstaunlicher Fakt, auf den ich später noch
zu sprechen komme. Von 1995 – 2000 absolviert er ein Medienstudium,
dass er mit Diplom abschließt und das ihm einen Lehrauftrag für
Mediendesign an der Hochschule im Jahr 2000 einbringt. Im gleichen Jahr
wird sein Sohn Julius geboren. Heute lebt und arbeitet er freischaffend
in Chemnitz und Leipzig.
Sein
schöpferische Vita ist spannender, denn sie enthält Hinweise auf seine
malerische Entwicklung, die er weitgehend als Autodidakt bewältigte. So
beginnt er 1997 mit dem beidhändigen Schreiben und Zeichnen und
entdeckt das kompositorische Mittel der verschiedenen Bildebenen für
sich und mit 2001 datieren die ersten Bilder mit fragmentarischen
Einschlüssen, die auch heute noch seine Kompositionen prägen. Das er
nicht nur ein Macher ist, wie man aus seiner Mitautorenschaft
verschiedener Künstlergruppen vermuten könnte, (02-05
Produzentengalerie Chemnitz, Künstlergruppe Querschlag,
Künstlerinitiative Malfront) belegen seine persönlichen
Befindlichkeiten, die naturgemäß für die Entwicklung des künstlerischen
Konzeptes von Wichtigkeit sind. So vermerkt er seinen „Zitat“:
Aufspaltung in drei Teilpersönlichkeiten für die Jahr 2001 bis 2005 und
eine zeitweise Erblindung, 2004, die zu den so genannten Dunkelbildern
führte.
Angesichts der hier ausgestellten Werke fragt man sich, in
wieweit diese Statements wörtlich gemeint sind oder des Malers
seelische Verfassung spiegeln, ob denn die zeitweise Erblindung als
seelischer Zustand zu werten ist, denn eine derartige Blindheit
bezüglich der kreativen Kräfte wäre ebenso nachvollziehbar wie die
Aufspaltung in drei Teilpersönlichkeiten, die ja auch nicht
gegenständlich war, sonst stände er uns ja heute nicht als
Gesamtpersönlichkeit gegenüber. Um Antworten auf diese Fragen zu
finden, wollen wir jetzt in die Gollersche Bildwelt einsteigen. Spontan
kann man Gollers Bilder als gestische Malerei katalogisieren, denn die
dynamischen Pinselschwünge weisen in diese Richtung und der meist
ungebrochene Farbauftrag verstärkt diese Wirkung. Aus diesen weitgehend
offenen Farbflächen gewinnt das nervöse Bildgefüge kompositorischen
Halt und den jeweilig stimmigen Farbklang.
Vor dieser, den Bildraum nach hinten abschließenden Ebene, entwickeln
sich dann die thematischen Chiffren und skripturale schwer lesbare
Einträge. Diese meist grafisch bestimmten Bildelemente erscheinen
gelegentlich als Fremdkörper, so zusagen als Bild im Bild mit
grafischen Notaten, deren Deutung im Zusammenhang mit dem Thema nicht
immer zu entschlüsseln ist. Gelegentlich wirken sie wie Skizzen des
ursprünglichen Bildgedanken oder Transplantate, die das eigentliche
Bild in einem anderen Stil interpretieren. Die runenförmigen, schwer zu
entziffernden Buchstaben ergeben meist der Bildtitel. Goller schreibt
sie mit dem Pinselstil in die noch nasse Ölfarbe und färbt die
Vertiefung nach dem Trockenprozess noch ein. Der so spontan wirkende
Malakt zieht sich häufig über einen langen Zeitraum hinweg, denn vor
der endgültigen Fertigstellung steht eine Phase des kontemplativen
Dialoges zwischen Werk und Künstler, der häufig noch zu
kompositorischen Änderungen und Hinzufügungen führen kann. Goller, das
sehen wir auch in dieser Ausstellung, malt keine Serien im landläufigen
Sinne, obwohl er – bedingt durch seinen eigenen Gestaltungsrhythmus –
meist mehrere Leinwände gleichzeitig in Arbeit hat. Ein typisches
Beispiel dafür: ist das grüne Strichmännchen auf dem Bild „Tötet
Klara“, das unten in der Bar hängt.
Über
das „warum“ und „wieso“ kann er keine intellektuelle Begründung geben.
Seine Antwort auf diese Frage ist lapidar: Da fehlte etwas, erst
dadurch ist das Bild endgültig fertig.
Michael Goller ist ein
spontaner Kolorist mit einem beneidenswerten Farbempfinden, das sich in
der Vielfalt der malerischen Akzente zeigt. Subtile Farbpartien
gemischt aus kühnen Kombinationen des spektralen Farbkreises verleihen
den Werken einen eindeutige Grundstimmung, auf der sich dann das feine
Gefädle der Zeichnung entwickelt. (schauen Sie sich die Aquarellblätter
im Dachgeschoß genau an). Oder – wie hier auf den Ölbildern die
kraftstrotzende Zeichenhaftigkeit das Bildgeviert fast bis zum Bersten
füllt.
Inhaltlich sind die Arbeiten durch die sinnhaltigen Titel für das
geübte Auge leicht erkennbar, auch wenn es etwas Geduld erfordert, das
divergierende Formenpotenzial zu sichten. Da ist Goller völlig offen.
Seine Metaphern stammen aus unserer Dingwelt oder menschliche und
tierische Körperformen. Auffällig dabei die unterschiedlichen
Sichtweisen, die von der perspektivischen Abbildung bis zum
silhouettenhaften Kürzel reicht und erstaunlicherweise trotzdem ein
harmonisches Ganzes ergibt. – Trifft Goller damit unsere triviale
Sichtweise, die sich ja auch aus lauter konträren Wahrnehmungen
zusammensetzt?
Eine besondere Vorliebe des Künstlers ist das Zitat. Er bewältigt dies
ohne peinlichen plagiaten Touch. So zeugt seine schwebende
Chagall-Figur
oder das Modigliani-Portrait
von der ernsthaften
Auseinandersetzung mit diesen Malerikonen. Dagegen wirken die schmalen
Stillleben im Mittelgeschoß fast einwendig brav, obwohl auch da die
malerische Farbpräsenz besticht.
Offen bleibt allerdings die Frage, welchen Stellenwert dem lesbaren
Inhalt der skriptualen Einträge zuzumessen ist. Dienen sie nur als
ornamentales Beiwerk, suggerieren sie Spontanität oder spielt der
Künstler damit auf die enge Verknüpfung von Sprache und Bild an? Wozu
sonst schreibt Goller das Wort „Baum“
auf der Leinwand, obwohl selbiger
klar zu erkennen ist. Auch das „Boot“ ist mit etwas Phantasie ablesbar
und doch benannt, während die augenfällige Hand ohne schriftliches
Attribut bleibt? Freilich, es bleibt dem Künstler überlassen, welche
schriftlichen Notate er in seine Kompositionen einbringt. Aber es ist
trotzdem erlaubt, Fragen zu stellen. Misstraut er der Vorstellungskraft
seiner Bildbetrachter oder misstraut er seiner eigenen bildnerischen
Imaginationskraft? Diese Frage ist nahe liegend und legitim bei einer
Kunstbetrachtung.
Anschließend will ich Ihnen – liebe Kunstfreunde – meine Meinung nicht
vorenthalten. Sie lautet: Gerade die Verknüpfung von Sprache und
Gegenstand zum dialogischen Sprachbild verleiht den Werken von Michael
Goller jene Stärke und Originalität, die es lohnend macht, sich mit
ihnen intensiv zu beschäftigen.
Franklin Pühn, Bildhauer, Januar 2006